Dr. med. vet. Richard Gerdemann
Dr. med. vet. Richard Gerdemann
Tierarzt

Akupunktur

Akupunktur ist eine der ältesten Methoden der chinesischen Medizin.

Der Begriff Akupunktur leitet sich von den lateinischen Begriffen acus (Nadel) und  pungere (stechen) ab.

Es handelt sich um eine Technik, bei der dünne Nadeln an bestimmten Punkten, den Akupunkturpunkten, in die Haut gestochen werden, um Krankheiten zu behandeln oder auch zu verhindern.

Die Akupunktur reizt diese klar definierten Punkte, um über Nervenbahnen gezielt bestimmte Erfolgsorgane funktionell anzuregen oder zu sedieren.

 

Quellen: Dr. Uwe Petermann (Kontrollierte Akupunktur für Hunde und Pferde) u. DVM Allen M. Schoen (Akupunktur in der Tiermedizin)

 

Westliche und chinesische Medizin im Vergleich

Westliche und chinesische Medizin unterscheiden sich stark in ihren Vorstellungen und Konzepten.

Unter der westlichen Medizin wird die konventionelle und wissenschaftliche Medizin verstanden, die seit etwa 200 Jahren praktiziert wird und die Trennung von Körper und Geist betont. Hier erkennt der Arzt oder Tierarzt eine körperliche Störung oder eine Erkrankung und heilt den beschädigten Teil des Körpers.

Dagegen betrachtet die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), wie sie seit über 2000 Jahren in den asiatischen Ländern angewandt wird, als komplementäre und alternative Medizin die Organismen als untrennbar mit ihrer Umgebung und Umwelt verbunden und versucht den Patienten und seine Erkrankung in ihrer Beziehung zueinander zu sehen. Sie unterstützt den Körper, sein Gleichgewicht wiederzufinden und so in einen ausgeglichenen Zustand zurückzukehren.

Was sind Akupunkturpunkte?

In der TCM werden Akupunkturpunkte als Shu Xue bezeichnet. Shu bedeutet  Durchgang oder Kommunikation und Xue steht für Loch oder Ausgang.

Also ist ein Akupunkturpunkt ein Loch in der Haut, das über einen Meridian (Jing) oder ein Netzgefäß (Luo) mit einem oder mehreren inneren Organen kommuniziert.

Die meisten Akupunkturpunkte liegen auf bestimmten Bahnen, den Meridianen, die wiederum den einzelnen Organen des Körpers zugeordnet werden.

Die genaue Lokalisation der Akupunkturpunkte geht auf jahrtausendelange empirische Studien der Traditionellen Chinesischen Medizin zurück.

Ist ein Organ pathophysiologisch verändert, so können ein oder mehrere zugeordnete Akupunkturpunkte druckempfindlich sein oder Abweichungen von ihrer normalen Struktur aufweisen.

Durch eine Behandlung dieser Punkte kann das innere Organ über den Meridian erreicht werden.

In der westlichen Medizin gibt es ein ähnliches Konzept, das sich mit viszerosomatischen und somatoviszeralen Reflexen sowie den Triggerpunktreaktionen beschäftigt.

Am Akupunkturpunkt selbst haben Forscher eine hohe Dichte an Nervenfasern, Nervenendigungen und Gefäßen gefunden. Die freien Nervenendigungen vereinigen sich unter den Akupunkturpunkten häufig zu Gefäß-Nervenbündeln und durchdringen umschlossen von einer bindegewebigen Hülle die Faszie der Haut oder der Muskulatur.

Was bewirkt die Akupunkturnadel?

In der Regel wird mit der Akupunkturnadel nicht nur die äußere Haut durchstochen, sondern auch tiefer liegende Strukturen wie Subcutis, Faszie oder Muskulatur erreicht.

Werden diese Strukturen stimuliert, kann eine besondere Empfindung, das De Qi-Gefühl, hervorgerufen werden. Dieses De Qi-Gefühl zeigt das Erreichen der vitalen Energie Qi an und  muss nicht immer angenehm sein. Menschen haben es als Schwere-, Taubheits- oder Wärmegefühl beschrieben, das sich oft entlang des entsprechenden Meridians ausbreitet.

Tiere reagieren mit Haut- oder Muskelzucken, Abwehrverhalten oder Lautäußerungen.

Das Erreichen der vitalen Energie Qi ist wichtig für die therapeutische Wirkung der Akupunktur.

Wissenschaftlich betrachtet hat der Nadeleinstich eine Vielzahl von physiologischen und biochemischen Reaktionen zur Folge.

Über Reizung von Schmerzrezeptoren, Ausschüttung von Neurotransmittern, Reizweiterleitung über das Rückenmark ins Gehirn bis hin zur Beeinflussung von sympathomimetischen und parasympathomimetischen Mechanismen.

Beispielsweise bewirkt eine Stimulierung des Akupunkturpunktes LG26 eine sympathomimetische Wirkung mit Blutdrucksteigerung durch Erhöhung des Herzminutenvolumens. Dieser Punkt wird als Wiederbelebungspunkt gesehen und kann Leben retten.

Ma36 dagegen gilt als parasympathomimetischer Punkt. Seine Stimulation hat eine Senkung des Herzminutenvolumens zur Folge. Außerdem ist er für seine starke Wirkung auf den Gastrointestinaltrakt bekannt. Untersuchungen haben ergeben, dass sich die somatoviszeralen Nervenleitbahnen dieses Punktes mit den Leitbahnen des Magens im Hinterhorn des Rückenmarks überlappen.

Des Weiteren verursacht jede Nadel ein Mikrotrauma mit lokalen Entzündungsprozessen. Diese Entzündungsprozesse beinhalten Vasodilatation (Gefäßweitstellung), Erregung der oben genannten Schmerzrezeptoren, Chemotaxis (Entzündungsmediatoren gelangen ins Gewebe) und Permeabilitätsstörung. Anschließend kommt es zur Gewebereparatur und zur Beendigung der Entzündungsreaktion.

Diese beschriebenen Reaktionen auf den Nadelstich sind gewollt und als positiv zu bewerten. Der Körper reagiert noch lange Zeit nach Entfernen der Akupunkturnadel auf den von ihr verursachten Reiz.

Akupunktur hat also nicht nur einen kurzfristigen Effekt, sondern auch eine nachhaltige Wirkung.

Welche Erkrankungen lassen sich mit Akupunktur behandeln?

Da es sich bei der Akupunktur um eine Regulationstherapie handelt, lassen sich prinzipiell alle Erkrankungen behandeln, die noch einer Regulation zugänglich sind. Das sind Erkrankungen, bei denen noch keine bleibenden Schäden aufgetreten sind. Bei einer sehr großen Zahl von Krankheiten, vor allem auch bei chronischen Prozessen, die durch die andauernde Fehlregulation zu erheblichen Beschwerden geführt haben, lässt sich durch die Akupunktur das physiologische Gleichgewicht wiederherstellen.

Sowohl orthopädische als auch internistische Erkrankungen sind mit Akupunktur behandelbar.

Haupteinsatzgebiete in der Pferdemedizin sind alle Erkrankungen des Bewegungsapparates, insbesondere der Halswirbelsäule und des Rückens, Lahmheiten der Vorder- und Hintergliedmaßen, sowie Schweifschiefhaltung und Ataxie. Auch Lungenerkrankungen vom  akuten Infekt bis hin zur chronisch obstruktiven Bronchitis sprechen sehr gut auf Akupunktur an.

Die westliche Therapie von Magenulzera und Kolik kann durch Akupunktur unterstützt werden. Gleiches gilt für Augenerkrankungen wie die periodische Augenentzündung.

In der Kleintiermedizin kommt die Akupunktur vielfach bei chronisch degenerativen Erkrankungen wie die Ellenbogen- und Hüftgelenksdysplasie, zum Einsatz. Auch Spondylarthrosen und Discopathien (Erkrankungen der Bandscheiben) sprechen sehr gut auf Akupunktur an.

Bei diesen degenerativen Erkrankungen, das gilt für Kleintier und Pferd gleichermaßen, wird die Akupunktur in erster Linie zur Schmerztherapie eingesetzt. Angestrebt wird, dem Tier so viel wie möglich an Lebensqualität zurückzugeben und zu erhalten. In besonders hartnäckigen Fällen kann es nötig sein, Goldimplantate dauerhaft in die mit den Körperakupunkturpunkten korrespondierenden Ohrpunkte zu setzen.